60 Jahre Anwerbeabkommen. Zeit, dass Politik Muslime mitdenkt

„Das deutsch-türkische Anwerbeabkommen ist ein Meilenstein für das muslimische Leben in Deutschland. 60 Jahre später ist es an der Zeit, dass die Politik Bedürfnisse und Forderungen von Musliminnen und Muslime mitdenkt und berücksichtigt“, erklärt der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Kemal Ergün. Anlass sind die laufenden Koalitionsverhandlungen sowie der Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei vom 30. Oktober 1961. Ergün weiter:

„Auch wenn der Islam in Deutschland eine weitaus längere Geschichte hat, hat das deutsch-türkische Anwerbeabkommen das hiesige muslimische Leben beflügelt, sie zum Erblühen gebracht. Die einstigen Gastarbeiter haben in ihren Anfangsjahren aus der Not heraus zunächst provisorische Gebetsräume errichtet. Als sich immer mehr abzeichnete, dass sie in Deutschland dauerhaft bleiben werden, erwuchsen aus diesen Gebetsräumen zunehmend bleibende Einrichtungen.

Unsere Moscheen gehen auf die Verdienste dieser Gründungsväter zurück. Sie haben oft unter widrigsten Bedingungen und ohne jedwede Unterstützung den Grundstein gelegt. Daraus sind Gemeinden entstanden, Zentren der Gemeinschaft, der gegenseitigen Fürsorge und des Zusammenhalts. Daraus sind Moscheen entstanden, die immer seltener in Hinterhöfen und immer mehr in Zentren stehen und zum Stadtbild gehören. Den Gründungsvätern gilt daher unser aufrichtiger und unendlicher Dank für ihre Pionierarbeit.

So sehr das muslimische Leben in Deutschland inzwischen auch beheimatet ist und fester Teil der Gesellschaft, so dürfen wir unsere Augen aber auch nicht verschließen vor Problemen. Die Ablehnung von Musliminnen und Muslimen ist Studien zufolge stark ausgeprägt und in Teilen der Gesellschaft tief verwurzelt. Offen und unverhohlen islamfeindliche Parteien sitzen am 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens in unseren Parlamenten und schüren unverhohlen Hass gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten.

Es ist daher dringend nötig, dass die sich abzeichnende künftige Bundesregierung diese Probleme in ihren Koalitionsverhandlungen mitdenkt. Wir fordern eine Politik, die einschließt und nicht ausgrenzt und den Kampf gegen Rassismus in allen seinen Formen wirksam bekämpft. Wir fordern eine Politik, die den Kampf gegen Islamfeindlichkeit deutlich höher priorisiert und Musliminnen und Muslimen Chancengleichheit verschafft, sei es bei der Wohnungs- oder Arbeitsuche – unabhängig vom Kopftuch. Wir fordern eine Politik, die Musliminnen und Muslime institutionell anerkennt und sie nicht weiter ihrer Stimme beraubt. Wir fordern eine Politik, die sich bedingungslos an der Menschenwürde orientiert, unabhängig von der Staatsbürgerschaft oder des Aufenthaltsstatus. Und wir fordern eine Politik, die Verantwortung für Natur und Umwelt übernimmt, eine Politik, die unserem Glauben und unseren Überzeugungen nicht widerspricht.

60 Jahre nach dem Anwerbeabkommen ist es Zeit, dass sich die Menschen nicht nur mit dem Land und der Gesellschaft verbunden fühlen, sondern auch mit der Politik. Es ist Zeit, dass die Politik auch auf die Bedürfnisse und Forderungen von Musliminnen und Muslimen, sie mitdenkt und berücksichtigt. Die laufenden Koalitionsverhandlungen sind eine gute Gelegenheit dafür.“

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