„Der Diskriminierungsschutz steckt in Deutschland auch 16 Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in den Kinderschuhen. Reformen sind unausweichlich, wenn der Kampf gegen Diskriminierung ernst gemeint ist“, erklärt Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Anlass ist der am Dienstag (16.8.2022) vorgelegte „Jahresbericht 2021“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie der 16. Jahrestag des Inkrafttretens des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
„Der Diskriminierungsschutz in Deutschland ist nicht ausreichend. Die im aktuellen Bericht der Antidiskriminierungsstelle genannten Mängel decken sich mit unseren Erfahrungen: Die Durchsetzung von Rechten nach einer Benachteiligung ist schwierig, aufgrund kurzer Klagefristen in vielen Fällen sogar unmöglich. Dass mangels Verbandsklagerecht Betroffene auch noch im Stich gelassen werden, den Kampf gegen Diskriminierung alleine führen müssen, ist nicht nachvollziehbar. In dieses Bild passt auch, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz keine Anwendung findet bei Diskriminierungen in staatlichen Einrichtungen.
In welcher Verfassung der Diskriminierungsschutz in Deutschland 16 Jahre seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist, erkennt man an den Zahlen der erfassten Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Etwas mehr als 5.600 Personen haben sich laut vorgelegtem Bericht im Jahr 2021 an die Stelle gewandt, lediglich 332 davon im Merkmalsbereich Religion. Wie viele dieser Fälle Musliminnen und Muslime betrafen, geht aus dem Bericht nicht einmal hervor.
Demgegenüber verzeichneten Behörden in demselben Jahr 662 Straftaten – bei einer deutlich höheren Dunkelziffer – gegen Musliminnen und Muslime und deren Einrichtungen. Alleine die von der Islamischen Gemeinschaft durch Anfragen Betroffener erfassten Fälle liegen weit über der von der Antidiskriminierungsstelle herausgegebenen Zahl.
Vor diesem Hintergrund drängt sich Folgendes geradezu auf: Die von der Antidiskriminierungsstelle herausgegebenen Zahlen zeigen das bisherige Versagen der Bundesregierungen, die Antidiskriminierungsstelle als zentrale Beratungsstelle zu etablieren, wo Hilfesuchende sich hinwenden. Und die Zahlen verdeutlichen den Zustand des Diskriminierungsschutzes in Deutschland: Betroffene nehmen mangels Hoffnung auf Rechtsdurchsetzung offensichtlich nicht einmal kostenlose Beratungshilfe in Anspruch. Sicher ist auch, dass die Zahlen kein Lagebild über die Verbreitung von Diskriminierungen in Deutschland abgeben, wie es oft und falsch dargestellt wird.
Wir schließen uns den Forderungen der Antidiskriminierungsstelle an, den Diskriminierungsschutz deutlich zu stärken. Dazu gehört die Einführung eines Verbandsklagerechts und die Verlängerung von Klagefristen. Ebenso müssen bundesweit und flächendeckend Beratungsstellen für Betroffene eingerichtet und etabliert werden, die tatsächlich und aktiv mithelfen können beim Kampf gegen Diskriminierungen. Bisher sind sie nur beratend tätig. Mithin stehen Betroffene oft vor der Frage, ob sie die Prozess- und Beweisrisiken auf sich nehmen wollen oder nicht. Das ist keine Hilfe für Menschen, die sich eine Niederlage vor Gericht finanziell nicht leisten können. Schließlich ist eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auch auf Vorfälle in Behörden erforderlich. Unseren Beobachtungen nach machen Diskriminierungen in staatlichen Einrichtungen einen wesentlichen Teil aller Fälle aus.“