Koalitionsvertrag macht Hoffnung, wirft aber Fragen auf

„Licht und Schatten – so lässt sich der Ampel-Vertrag zusammenfassen: Zahlreiche positive Ankündigungen, aber auch Fragezeichen und vage Formulierungen in wichtigen Bereichen“, kommentiert Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), den Koalitionsvertrag der SPD, der Grünen und der FDP. Bekir Altaş weiter:

„Der Vertrag der sich abzeichnenden Ampel-Koalition wirft Licht und Schatten auf die anstehende Legislaturperiode und wirft Fragen auf. Beim Thema Imamausbildung etwa bleibt offen, welchen Weg die Koalition einschlagen will. Die bisherige Bundesregierung hat sich in diesem Bereich mit Konzepten in Eigenregie verfassungsrechtlich auf sehr dünnem Eis bewegt und viel Vertrauen in der muslimischen Bevölkerung verspielt. Insofern werden wir den weiteren Weg mit großer Aufmerksamkeit verfolgen und kritisch begleiten.

Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die angekündigte Prüfung etwaiger ‚Ergänzungen des Rechtsstatus von Religionsgemeinschaften‘. Alleiniger Maßstab dürfen hier nur die Verfassung und die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sein. Hier erwarten wir die richtigen Anreize an die Adresse der Landesregierungen. Die vieldeutige elastische Formulierung im Koalitionspapier hingegen wirft Fragen auf. Ist das ein ‚Weiter so‘ der bisherigen Religionspolitik gegenüber Musliminnen und Muslimen, die die Handschrift der Union trägt? Falls ja, wäre dies eine Fortführung der bisherigen Politik über die Köpfe von Millionen Musliminnen und Muslimen hinweg, eine Politik, die weiteres Vertrauen kostet.

Im Bereich des Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrechts dürfen wir uns hingegen auf bemerkenswerte Fortschritte freuen. Insbesondere die längst überfällige und in der Praxis ohnehin längst gelebte Hinnahme von Mehrstaatigkeit ist eine jahrzehntealte Forderung der Islamischen Gemeinschaft. Dass einst als ‚Gastarbeiter‘ nach Deutschland gekommenen Personen als Zeichen der Anerkennung ihrer Lebensleistung unter erleichterten Voraussetzungen eingebürgert werden sollen, ist – auch wenn viele Betroffene nicht mehr in den Genuss der geplanten Regelung kommen dürften – ein sehr nobler Schritt. Das Gleiche gilt für die angekündigte Abschaffung des Sprachnachweises vor dem Familiennachzug.

Sehr begrüßenswert ist auch der Plan der Koalitionsparteien, die ‚weitere Aufarbeitung des NSU-Komplexes energisch‘ vorantreiben zu wollen. Das ist dringend nötig, um verlorenes Vertrauen in den Staat, in seine Institutionen und insbesondere in den Sicherheitsapparat wiederherzustellen. Es bleibt zu hoffen, dass die mit dieser Ankündigung geweckte Hoffnung nicht in einer weiteren Enttäuschung mündet. Ähnlich verhält es sich mit der angekündigten Bekämpfung des Rechtsextremismus, deren Erfolg richtungsweisend für Deutschland sein wird. Ob der 11. März als nationaler Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt das richtige Datum für Deutschland ist, darf allerdings bezweifelt werden.

Positiv hervorzuheben sind auch einige Verbesserungen im Bereich der Flüchtlings- und Integrationspolitik. Die Betonung von Menschenrechten und Verbesserungen im aufenthaltsrechtlichen Bereich sind begrüßenswert. In der Flüchtlingspolitik und im Hinblick auf die unmenschlichen Zustände an den europäischen Außengrenzen bleibt vieles allerdings vage. Interpretationsbedürftig bleiben auch Ankündigungen zum Themenkomplex Islamfeindlichkeit. Der angekündigte Schutz von Musliminnen und Muslimen und ihrer Einrichtungen bleibt aus nicht nachvollziehbaren Gründen vergleichsweise ungenau. Die Berufung eines Anti-Rassismus- und eines Antiziganismus-Beauftragten begrüßen wir ausdrücklich, fragen uns aber, aufgrund welcher Gefahreneinschätzung es in den Plänen der Koalition keinen Beauftragten für antimuslimischen Rassismus gibt.

Die Islamische Gemeinschaft wird die Umsetzung des Koalitionsvertrages kritisch, mit großer Aufmerksamkeit und konstruktiv begleiten. Den Koalitionsparteien wüschen wir viel Erfolg und eine glückliche Hand.“

Der Beitrag Koalitionsvertrag macht Hoffnung, wirft aber Fragen auf erschien zuerst auf Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG).

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